„Die Welt der Musik nach Neutraubling bringen“
Tatsächlich eröffnete Sven Fallers Reihe Talk & Musik im Herbst 2019 den Veranstaltungsreigen im neuen Kulturhaus. Aktuell läuft das spannende Format nach einigen pandemischen Unwägbarkeiten wieder regulär und regelmäßig mehrmals pro Jahr in Neutraubling. So intim lernt man international bekannte wie regionale Musikgrößen selten kennen – höchste Zeit also für ein Gespräch mit dem gastgebenden Jazzmusiker, der seit zehn Jahren in Schwandorf lebt. Hier das komplette Interview:
Hallo Herr Faller, Ihren ersten Bass – wann haben Sie den bekommen und welchen? Mit elf Jahren begann ich mit klassischem Klavierunterricht. Damals waren mir bald die klassischen Stücke zu fad, und erst als er mich frei improvisieren hörte meinte mein Lehrer: ‚Er kann ja doch spielen“. Mit 13 bekam ich meine ersten E-Bass, ein billiges No name-Fabrikat. Einen Kontrabass habe ich erst einige Jahre später in der Schule zur Verfügung gestellt bekommen.
Gab es in ihrer Münchener Jugend dann vorwiegend Orchestermusik, eine Alternativ-Combo oder doch eher die Schulband? Ich habe mit meinen Freunden zu viert in der Schülerband angefangen, alle möglichen Stil-Richtungen wie Punk, Rock und Funk gemischt, Pink Floyd gecovert und wir sind auch in Kneipen aufgetreten. Als unser Gitarrist ausgestiegen war, brachte unser damaliger Saxophonist, der durch Melodien den fehlenden Sänger ersetzte, verstärkt Jazzlicks aus Hits beispielsweise von John Coltrane ein. Nach diesem musikalischen Schwenk gründete ich mit 16 meine erste Jazzband, und konnte zudem in einer der ersten Schul-Bigbands in Bayern spielen, gründete von unserer Musiklehrerin. Die wilde Mischung an Musik-Stilen von damals ist wohl in meinem Bass-Spiel immer noch virulent.
Wann reifte der Entschluss, Profimusiker zu werden? Ich habe mich erst nicht getraut und mir ein anderes Studium gesucht: Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in Berlin. Nach wenigen Wochen wusste ich – Musik ist das einzige, was ich machen will. Oft muss man erst etwas anderes ausprobieren.
Ab 1994 lebten Sie sechs Jahre in New York, schlossen dort 1997 das am Linzer Bruckner-Konservatorium begonnen Studium mit dem „Bachelor of Fine Arts in Jazz and Contemporary Music“ ab. Als Stammgast auf den Bühnen der legendären Lower East Side Clubs wie Sin-é und CB’s, welche Begegnungen blieben Ihnen in Erinnerung? Es gab unzählige spannende Begegnungen, aber es waren weniger die berühmten Lehrer oder Musiker, die mich geprägt haben. Sehr wichtig war für mich vor allem raus in die Welt zu gehen, die Komfortzone zu verlassen und ganz andere Dinge zu sehen.
Was hat Sie dann wieder in die deutsche Heimat und nach Schwandorf geführt? Im Ausland lernt man die Heimat meist erst richtig schätzen. Für den freiberuflichen Künstler ist Deutschland im vergleich zu den USA und vielen Ländern der Welt ein Paradies. Von München bin ich vor zehn Jahren der Liebe wegen nach Schwandorf gezogen und schätze das Kleinstadtleben in der Oberpfalz sehr.
Wie kam es zu „Talk & Musik“ im Neutraublinger Kulturhaus? Ich habe die Reihe vor einigen Jahren in meiner neuen Heimatstadt im Oberpfälzer Künstlerhaus gestartet. Angelika Achter, Neutraubling, Kulturamtsleiterin und Pianistin, ist aufmerksam geworden und hat mich eingeladen. Inzwischen läuft die Reihe an vier Orten, darunter Neumarkt.
Was hat Sie zu diesem Format inspiriert? Normalerweise kommen sich Publikum und Musiker nicht näher. Ich wollte etwas kreieren, wo man die Künstler und ihr Werk tatsächlich kennenlernt, vielleicht auch neu entdeckt. Unplugged Sessions haben dafür einen ganz ursprüglichen Charme. Ganz bewusst bin ich auch in die Peripherie der Großstadt gegangen, um den dort regional verwurzelten Bürgern den Sprung in die weite Welt der Musik so einfach wie möglich zu machen.
Was sind Ihre nächsten Gäste im Kulturhaus? David Weiss aus Straubing wird mit seinem Gypsy Akkordeon im Oktober zu Gast sein. 2023 kommen die Harfenistin Evelyn Huber, bekannt durch ihre Arbeit mit Quadro Nuevo, der Rocksänger Markus Engelstädter, den man in der Oberpfalz niemandem vorstellen muss, und die polnische Vibraphonistin und Multi-Instrumentalistin Izabella Effenberg.
Kennen Sie Neutraubling auch außerhalb des Kulturhauses? Ich unterrichte seit 2020 einmal die Woche Kontrabass in der Musikschule und gehe sehr gerne zwischendurch Spazieren oder Essen. Und natürlich gibt es auch Verbindung mit einigen hiesigen Berufsmusikern wie Posaunist Heiner Bettinger.
Sie haben auf der Bühne einige Jahre Konstantin Wecker begleitet, wie war ihre persönliche Beziehung?
Ich habe von Konstantin sehr viel gelernt, vor allem über den Umgang mit Text, aber auch, dass Spontaneität, Witz und Experimente wichtiger sind als Perfektion. Er hat mich sehr gefördert in meiner Entwicklung als eigenständiger Künstler.
Als Studiomusiker sind sie auf CDs von Pippo Pollina, Mulo Francel und Georg Ringsgwandl sowie in Filmen von Marcus Rosenmüller, Doris Dörrie und Helmut Dietl zu hören. Haben Sie alle persönlich kennengelernt?
Mit Mulo und Ringsgwandl habe ich oft auf der Bühne gestanden, absolute Vollblutmusiker und Entertainer, da kann man immer etwas lernen. Für Pippo war ich mehrmals im Studio tätig, eine Arbeit die mich immer sehr reizt, vor allem wenn einer eine sehr konkrete Vorstellung hat, wie er. Das gleiche gilt für den Komponisten Gerd Baumann, der Filmmusik für Rosenmüller und Dietl gemacht hat. Als langjähriger Freund hat er mir immer gezeigt, dass man seine Vision kompromisslos verfolgen muss. Inzwischen hat er die Band Dreiviertelblut.
Seit 2004 standen ausgedehnte Konzertreisen an, in Europa von Belgien bis Norwegen und nach Rumänien, dazu Singapur, Mexico und Brasilien. Konnten Sie da auch die Länder kennenlernen, und wo fühlten Sie sich am wohlsten?
Lateinamerika hat mich begeistert, sowohl Mexiko als auch Brasilien. Sehr offene, gebildete, interessierte, und vor allem herzliche Leute. Seit Jahren trete ich oft in Istanbul auf, eine meiner Lieblingsstädte in Europa. Ich liebe die Leute dort.
„Transatlantische Geschichten“ nennt sich ein neues Hörbuch und Bühnenprogramm mit August Zirner. Außerdem gibt es ein Projekt mit Sängerin und Schauspielerin Anna Maria Sturm. Bei so vielen Aktivitäten wird es nicht langweilig…?
Das kann man wohl sagen! Jedoch ist dies auch dem geschuldet, dass vor 15 Jahren ein Musiker noch die Hälfte seines Einkommens aus Studio-Engagements erwirtschaften konnte. Heute im Zeitalter des Streamings und wo Musik überall verfügbar und reproduzierbar ist, verdient man zu 90 Prozent durch Live-Auftritte. Da ich ja auch nicht jünger werde, habe ich mich zuletzt bei etwa 80 Terminen pro Jahr eingependelt.
Herr Faller, wir danken und wünschen viele interessante
musikalische Begegnungen!